aus "Ritterliche Fehden gegen Hamburg im Mittelalter"
von Erich von Lehe

Die von Waffenlärm und Friedensbrüchen geprägte Zeit im 14. Jahrhundert sah durch Fehden ausgelöste Waffentaten anders als die durch gefestigte landesfürstliche Macht, strengere Strafmittel und Gesetze mehr befriedeten Jahrhunderte seit der Reformation. Die holsteinische Grafschaft war im 14. Jahrhundert noch in der Ausbildung ihres staatlichen Seins begriffen; gefördert durch die Landesteilungen der Grafen gewannen die wirtschaftlich aufblühenden Hansestädte zusehends an Macht. Dagegen war die wirtschaftliche Entwicklung auf dem Lande nicht günstig. Durch Zusammenschlüsse, Burgenbau und Fehden, bei denen die Ritter häufig auch auf Seiten der Städte standen, suchte der Adel sich gegen die landesherrliche Macht durchzusetzen und hat in der Ausbildung der adeligen Gerichte, der eigenen Gerichtsstandschaft vor dem Lehnsmanngericht und dem Zusammenschluß der holsteinischen und schleswigschen Ritterschaft zu einer Einheit eine klare Herausbildung des ritterlichen Standes in seiner führenden Stellung im Staat und die Einheit des Landes erreicht.

Dank der Tüchtigkeit der schauenburgischen Grafen ist er dabei in fester Abhängigkeit vom Lehnsherrn geblieben - eine Auflösung der Grafschaft in viele kleine Territorien wie in Gebieten Südwestdeutschlands ist nicht erfolgt. Das ist aber erst das Ergebnis der Kämpfe und Fehden aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.

Den Grafen mußte vor allem aus diesen politischen Gründen an der Beseitigung ritterlicher Burgen liegen, die meist nur von den mächtigsten Geschlechtern mit großem Grundbesitz erbaut waren. So war der Landesherr der Scharpenbergs, der Herzog von Sachsen-Lauenburg, nebst den holsteinischen Grafen bei der Eroberung Linaus und anderer Ritterburgen beteiligt. Diese politische Seite der Brechung ritterlicher Burgen ist gegenüber der bisherigen Ansicht über die „Raubburgen“ bisher kaum beachtet worden.

Bei Linau liegt die Mitwirkung der Grafen, die schon vorher mehrfach gegen die Scharpenbergs gefehdet hatten, einmal in den engen verwandtschaftlichen Beziehungen der Familie zum holsteinischen Adel und zum anderen in der Nähe der mächtigen Burg zu ihrem Amtssitz in Trittau begründet. Übergriffe von Seiten der Burgbewohner, die als Verletzung des Landfriedens gedeutet werden konnten, gaben dann leicht den Vorwand zur Fehde. Von den beiden Städten Lübeck und Hamburg hat die erstere als politisch führende sehr viel häufiger bei größeren Unternehmungen gegen Ritterburgen mitgewirkt als Hamburg. Die Fehden Hamburgs erreichten in den 1340er bis 1360er Jahren, als die Stadt auch noch mit dem hamburgischen Domkapitel in heftigestem Prozeßstreit lag, sowohl der Zahl wie der Bedeutung nach den ersten Höhepunkt.

Die Formen, in denen sich die offene, rechte Fehde abspielt, waren zu der Zeit längst ausgebildet und fest, auch durch Reichsrecht, insbesondere den Mainzer Landfrieden von 1235, bestimmt. Dem Beginn feindlicher Handlungen musste die „Widersage“, das Aufsagen des Friedens oder die Absage vorausgehen. Die Absage erfolgte durch den Fehdebrief. Der Inhalt ist durchweg kurz gehalten und gibt außer dem Namen des oder der Absagenden meist nur an, um wessen willen oder aus welchem Grunde die Fehde eröffnet wird. Der Fehdebrief ist meist mit dem Siegel des Absagenden versehen. Drei Tage nach Überreichung des Fehdebriefes mussten die Waffen noch ruhen, erst am vierten durften feindliche Handlungen beginnen. In der Goldenen Bulle von 1356 waren diese Bestimmungen noch weiter verschärft worden. Erst der ewige Landfrieden von 1495 hob alle bestehenden Fehden auf und verbot künftige. Seitdem war jede Fehdehandlung Unrecht.

Nach dem erwähnten Mainzer Landfriedensgesetz von 1235 war Voraussetzung jeder echten, erlaubten Fehde eine vorangegangene Schädigung und der misslungene Versuch, sich bei den Gerichten durch Klage sein Recht zu holen. Erst wenn die Klage undurchführbar war, durfte die Absage erfolgen. Die Schwierigkeit lag z.B. bei Klagen gegen den Landesherrn darin, dass der Landesherr gleichzeitig die Gerichtshoheit inne hatte. Auch bei der Zuständigkeit des Gerichtes gab es Probleme, da sich die Ritter meist nicht den Sprüchen städtischer Gerichte unterwerfen wollten. Richtete sich die Forderung gegen die Stadt, musste schon ein Schiedsgericht vereinbart werden, zumal nichtholsteinische Ritter ein gräfliches Gericht nicht anzuerkennen brauchten. So waren Fehden oft Ersatz für Rechtshilfe und wurden auch als solche angesehen.

War so die Fehde mit eine Folge der mangelnden Gerichtsverfassung des Reiches, so wurden sie doch schon früh als ein - wenn auch notwendiges - Übel angesehen. So hat das Reich durch seine Gesetzgebung die Fehden einzuschränken versucht und ihnen feste, vorgeschriebene Formen gegeben. Auch hat Kaiser Karl IV. in seinem Privileg vom 14. Oktober 1359 der Stadt Hamburg Schutz und Selbsthilferecht gewährt gegen den Straßenraub, insbesondere gegen den Angriff auf Bauern bei der Landarbeit. Daneben ist die Kirche mit ihren Strafmitteln - Bann und Interdikt - und der Erklärung von fehdefreien Fest- und Sonntagen, von kirchlichen Orten und Personen für die Einschränkung des Fehdewesens wirksam gewesen.

Hamburg hat sich zur regelmäßigen Aufsicht über die Straßen vor den Stadttoren und auf dem Lande im Jahre 1351 einen Ausreitervogt verpflichtet. Ihm wurde neben dem Dienstgeld von 40 Mark jährlich und weiteren Bezügen an Kleidung, Mietgeld und Getreide für den Fall einer Verwundung im Stadtdienst eine Lebensrente zugesichert. Ihm unterstanden eine Anzahl berittener Knechte, vielfach wohl ritterlicher Herkunft. Sie waren in erster Linie für den Schutz gegen gemeine Straßenräuber bestimmt, die, wenn sie auf frischer Tat ertappt wurden, gleich erschlagen wurden. Außerdem wurden zu bestimmten Fehdehandlungen Ritter oder Knappen in städtischen Dienst genommen. In Lübeck existiert eine Liste der im 13. Jahrhundert durch diese berittene Landgendarmerie gefassten Pferdediebe, Straßen- und Buschräuber. Dabei zeigt sich, dass unter ihnen auch eine kleinere Anzahl ritterlicher Räuber war, rechter Raubritter also, während es sich bei den meisten um gemeine Strauchdiebe und Räuber nichtritterlicher Herkunft handelt, die meist nach der Tat sogleich erschlagen wurden. Gegen offenbare Straßenräuber, die erkannt, aber nicht auf frischer Tat gefasst werden konnten, wurde durch Gerichtsspruch die Ächtung oder Verfestung, d.h. die Landesverweisung ausgesprochen.

Eine Unterbrechung der sich oft jahrelang hinziehenden Fehdehandlungen konnte durch die Vereinbarung eines zeitlich begrenzten Waffenstillstandes erfolgen. So wurde auf Antrag Hamburgs in der von etwa 1403 bis 1408 dauernden Fehde zwischen der Stadt und den Knappen Tymme und Bruneke von Alverslohe durch Vermittlung des Grafen Heinrich III. von Holstein ein mehrmaliger Waffenstillstand für bestimmte Zeit oder solange, bis der Graf das Ende 8 Tage vorher anzeigte, vereinbart. Der Abschluss der Fehde konnte durch einen Sühne- oder Friedensvertrag erreicht werden. In diesen Verträgen wurde häufig eine Entschädigung für den Schaden vereinbart. Einen anderen Ausgang hatten die Fehden - und das war in Hamburg häufig ! - in denen es Getötete oder Gefangene gegeben hatte. Gefangene wurden meist nur gegen Zahlung von Lösegeld, für das ihre Verwandten bürgen mussten, freigelassen. Außerdem kamen sie durchweg nur gegen Leistung der „Urfehde“ frei. „Orveide“ bedeutet das Aufhören der Feindschaft und schließt das Versprechen in sich, die Gefangenschaft nicht rächen zu wollen, auch späterhin nicht wieder eine Fehde gegen den früheren Gegner aufnehmen zu wollen oder sich an ihr zu beteiligen.

Fragt man nach den Gründen, aus denen die Fehden entstanden sind, so erhält man aus den Urkunden leider nicht all zu oft Aufklärung. Tötung oder Leibesbeschädigung von Verwandten muss als ein häufiger Grund angesehen werden. Im 15. Jahrhundert wurden häufiger unfreie, eigengehörige Leute der Ritter, die ohne Erlaubnis des Grundherrn in die Stadt gezogen waren, zurückgefordert. Auch aus Dienstverträgen oder Schädigung durch Vögte oder Diener ergaben sich mehrfach Fehdemöglichkeiten.

In den Fehdedokumenten tritt uns der deutsche Ritterstand als der wehrhafte, soldatische Teil des Volkes mit seiner geraden, „ritterlichen“ Kampfesweise, seiner Fehdelust und der Betonung seiner Standesehre entgegen. Fast in jedem Fehdebrief wird betont, dass die Ehre zu den hohen Werten des Lebens zählt. Gewiss hat es auch in diesem Stande nach Faustrecht und Raublust handelnde und fest dreinschlagende, derbe Gesellen gegeben, denen mit Recht der Name „Raubritter“ zukommt. Auch ist von manchen Burgen aus zeitweilig Überfall und Raub, Erpressung und Körperverletzung mutwillig und ungesetzlich geübt worden. Das konnte vermutlich nicht anders sein in einer Zeit harter politischer Auseinandersetzungen bei der Bildung von Territorien. Darin aber das Kennzeichen des ganzen ritterlichen Standes zu sehen und seine Mitglieder als Raubritter schlechthin, die Burgen allgemein als Raubburgen zu bezeichnen, heißt die eigentliche Bedeutung und Aufgabe des mittelalterlichen Rittertums, den militärischen Schutz des Staates nach außen und die Verwaltung des Landes im Innern verkennen, heißt auch, nichts vom erlaubten Fehdewesen, seiner Vorbereitung, seinen gesetzlichen Formen und den aus ihnen sprechenden Anschauungen zu wissen.